Wo das Normale das Besondere ist

Der 1. Berliner Inklusions-Tauchclub gewinnt Zukunftspreis des Berliner Sports 2023 für „Tauchausbildung ohne Gliedmaßen“.

Wenn Inklusion überall so gelebt wird wie beim 1. Berliner Inklusions-Tauchclub e. V., stirbt das Wort aus. Dann ist das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung das Selbstverständlichste auf der Welt: Alle Menschen können alles machen, wenn sie wollen. Zum Beispiel Janis McDavid, 32 Jahre alt. Er wollte seinen Tauchschein machen: „Ich hatte früher immer Scheu vorm Wasser. Dass ich mal in einen Tauchverein gehe, hätte ich nie gedacht. Aber es gab Leute, die mich schon vor Jahren auf das Tauchen aufmerksam gemacht haben. Letztes Jahr im Sommerurlaub in Kolumbien habe ich dann beim Schnuppertauchen im Pool mitgemacht und Blut geleckt.“ Mit seiner Begeisterung fürs Tauchen ist er einer von rund 2.000 Kindern, Jugendlichen, Frauen und Männern, die in rund 30 Berliner Vereinen diese technisch anspruchsvolle Sportart betreiben. Sie alle haben unterschiedliche körperliche Voraussetzungen. Janis McDavid ist ohne Arme und Beine auf die Welt gekommen.  

„Ich brauche Fachleute, die spezialisiert sind.“ Das ist ihm klar. Bei seiner Internet-Recherche nach einem Tauchverein gibt er die Begriffe „Tauchen, Behinderung, Berlin“ ein und entdeckt sehr schnell den 1. Berliner Inklusions-Tauchclub e.V. Der Vorsitzende, Fred Anlauf, hat den Verein 2015 gegründet. Bis dahin führte er ein Fachgeschäft für Tauch-Ausrüstung. Dort lernte er einen Mann kennen, der Multiple Sklerose hat und tauchen will, aber bei kommerziellen Tauchschulen nicht aufgenommen wird und von Ärzten keine Tauchtauglichkeitsbescheinigung erhält. So reift bei Fred Anlauf der Wunsch, sich mit Inklusions-Tauchen zu beschäftigten. Er absolviert die Qualifizierung zum Tauchlehrer im Behindertensport und was bei Auflösung seines Geschäfts übrig ist, bringt er in den neuen Verein mit, der in kurzer Zeit auf mehr als 60 Mitglieder wächst. Jetzt sind es 39. „Durch die Pandemie, in der die Schwimmhallen geschlossen waren, haben wir einen großen Teil unserer Mitglieder verloren. Aber wir werden wieder mehr“, sagt er.  

Janis Mc David wird im Oktober letzten Jahres Mitglied: Er schreibt Fred Anlauf eine E-Mail. Eine halbe Stunde später kommt der Rückruf. Nichts auf die lange Bank schieben, machen und dranbleiben – so ist der Vereinsvorsitzende. So ist auch Janis McDavid. Hoch motiviert erreicht er noch vor Weihnachten sein Ziel – den Tauchschein für den Urlaub zum Jahreswechsel auf den Philippinen.  

Beim Training an einem Feriendienstag von 20 bis 21.30 Uhr im Kombibad in der Seestraße ist das Miteinander im Tauchclub nicht nur zu spüren – es ist offensichtlich. Es wirkt ungezwungen und leicht, wie Janis McDavid die Tauchausrüstung angelegt wird. Von Berührungsängsten keine Spur – nicht in seiner Gruppe und nicht in der großen Schwimmhalle, wo zur selben Zeit im 50-m-Becken, im Kinder-Planschbecken und im Aqua-Fitnessbecken reger Betrieb herrscht.  

Fred Anlauf hat einen Verein geschmiedet, der das Bild einer idealen Zukunft vorwegnimmt, in dem alle für alle da sind – auf ehrenamtlicher Basis. Dazu gehören sechs ausgebildete Tauchlehrer und Tauchlehrerinnen im Behindertensport. Sie dürfen auch Kinder mit Behinderung trainieren. Dazu gehört Yasmin-Isabelle Kelnar, eine Internistin mit einer zertifizierten Zusatzausbildung bei der Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin. Sie prüft vor jedem Training die Tauchtauglichkeit und ist ebenfalls Tauchlehrerin für Menschen mit Behinderung. Und dazu gehören Spendenfreudige. Dank der Spenden und Fördergelder aus unterschiedlichen Quellen besitzt der Verein eine Grundausstattung – u. a. 14 Tauchausrüstungen mit Neopren-Anzügen, Tarierwesten, Atemreglern und Pressluftflaschen.  

„Beim Tauchen gibt es nur Gewinner. Das ist ein Unterschied zu anderen Sportarten“, sagt Fred Anlauf. „Jede Behinderung ist anders. Wir stellen uns darauf ein und sehen das als Herausforderung. Die annähernde Schwerelosigkeit unter Wasser wirkt sich entspannend auf die Muskulatur aus. Jemand mit Multiple Sklerose hat mal zu mir gesagt: Nach anderthalb Stunden Training war ich eine Woche schmerzfrei.“ Tauchen habe auch viel mit Vertrauen zu tun, betont er: „Man muss 100 Prozent in die Technik vertrauen, dass man unter Wasser atmen kann. Und man muss seinem Tauchgangbegleiter vertrauen.“ Janis McDavid hat sogar zwei Tauchgangbegleiter – falls einem etwas zustößt. Nach dem Tauchschein peilt er jetzt neue Ziele an: Er möchte „unter Wasser unabhängiger und selbstständiger werden“, sagt er: Mit Vollgesichtsmaske tauchen und den Druckausgleich selbst regeln. Dafür muss das Tarierjacket von Janis McDavid umgebaut werden. Er will sich auspowern. „Unter Wasser fühlt sich der Körper ganz anders an, schwerelos“, beschreibt er sein Gefühl. Dafür ist geplant, den Neoprenanzug mit Flossen zu bestücken. Die spezielle Ausrüstung für seine Bedürfnisse gibt es nicht zu kaufen. „Das machen wir selbst“, sagt Fred Anlauf. In dem Verein ist schon sehr viel selbst gemacht worden: Zum Beispiel wurde ein Boot mit absenkbarer Bugklappe so umgebaut, dass es barrierefrei zugänglich ist. Als nächstes soll ein Tauchboot so umgerüstet werden, dass Menschen im Rollstuhl den Motor mit Knopfdruck bedienen können. Der Antrag auf Förderung durch das LSB-Vereinsentwicklungsprogramm ist gestellt.  

Auch Janis McDavid wird sich immer wieder neue Ziele setzen. Er arbeitet als Speaker, spricht in Unternehmen und auf Veranstaltungen über Mut und Motivation. Er ist ein „leidenschaftlicher Lösungsfinder und sieht Wege, wo für andere Menschen keine erkennbar sind“, schreibt er auf seiner Homepage: www.janis-mcdavid.de „Wir freuen uns, dass wir Janis haben“, sagt Fred Anlauf.  

Text: Angela Baufeld 

Foto: Jürgen Engler

Weitere Infos über den 1. Berliner Inklusions-Tauchclub e. V.:www.die-inklusionsmacher.de 

Hier geht es zu einem rbb-Beitrag über den Verein.

Wer beim 1. Berliner Inklusions-Tauchclub e. V. vorbeischauen will: Im Stadtbad Wilmersdorf II (Fritz-Wildung-Str. 7, 14199 Berlin) findet am 5. Mai 2024 von 9 bis 17 Uhr ein Schnuppertauchen statt.